Die Immobilienbranche erlebt tiefgreifende Veränderungen, getrieben durch neue regulatorische Anforderungen und die zunehmende Unsicherheit in volatilen Märkten. Regulierungen wie die Capital Requirements Regulation (CRR3) erfordern konservative und risikobewusste Bewertungsansätze, die nicht nur aktuelle Marktbedingungen abbilden, sondern auch zukünftige Entwicklungen berücksichtigen. Die sogenannte "Forward-Looking-Bewertung" bietet Ansätze, die Prognosen und Szenarioanalysen einbeziehen, um langfristige Stabilität und eine fundierte Einschätzung von Risiken sicherzustellen.
Traditionelle Bewertungsmethoden, wie das Vergleichswertverfahren oder Ertragswertverfahren, basieren auf vergangenen Markttrends und aktuellen Marktdaten. Diese Ansätze berücksichtigen jedoch weder dynamische Veränderungen wie Zinsschwankungen noch langfristige Risiken, etwa durch den Klimawandel. Mit der Einführung der CRR3 wird der Fokus auf den „nachhaltigen Wert“ (sustainable value) einer Immobilie gelenkt – also ein Wert, der über die gesamte Laufzeit eines Kredits stabil bleibt. Die CRR3 definiert dazu das Niederstwertprinzip, bei dem Immobilienwerte konservativ angesetzt werden. Der Wert wird anhand eines Durchschnitts aus mehreren historischen Datenpunkten berechnet, wodurch Schwankungen geglättet werden. Sollten historische Daten fehlen, erlaubt die Verordnung den Einsatz von synthetischen Datenpunkten – das sind rechnerisch erzeugte Werte, die auf statistischen Modellen oder Vergleichsobjekten basieren.
Ein wichtiger Aspekt der CRR3 ist der Value-at-Origination (VaO). Dieser Wert wird bei der Kreditaufnahme festgelegt und bleibt während der Kreditlaufzeit stabil, es sei denn, es treten wesentliche Veränderungen ein, wie Umbauten oder starke Marktbewegungen. Ergänzt wird dieser Ansatz durch regelmäßige Wiederbewertungspflichten, bei denen überprüft wird, ob der ursprüngliche Wert noch den aktuellen Bedingungen entspricht. Diese Änderungen zwingen Banken und Bewertungsunternehmen, ihre Methoden und Datenmodelle anzupassen, um sowohl regulatorische Vorgaben zu erfüllen als auch präzisere und zukunftsorientierte Bewertungen zu ermöglichen.
Ein zentraler Fortschritt in der Immobilienbewertung liegt in der Integration von Forward-Looking-Ansätzen, die Prognosen und Marktszenarien einbeziehen. Dabei werden dynamische Faktoren wie Zinssätze, Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Entwicklung analysiert, um zukünftige Entwicklungen besser abschätzen zu können. Szenario-Simulationen bieten dabei die Möglichkeit, verschiedene „Was-wäre-wenn“-Szenarien durchzurechnen – beispielsweise, wie sich ein Anstieg der Zinssätze oder eine Veränderung der Nachfrage auf den Immobilienwert auswirken würde. Solche Simulationen helfen Banken und Investoren, Kreditrisiken fundierter zu bewerten und frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um Risiken zu minimieren.
Abbildung: Prognose der jährlichen Wachstumsrate des durchschnittlichen Wohnwerts (ETW) für Graz, Salzburg und den 2. Bezirk in Wien (2015–2030)
Die Abbildung zeigt die historischen Wachstumsraten des durchschnittlichen Wohnwerts von Eigentumswohnungen (ETW) im Zeitraum 2015–2023 sowie die prognostizierten Raten für 2024–2030. Drei Regionen werden dargestellt.
Graz: Blaue Linie, Salzburg: Rot gestrichelte Linie, Wien 2. Bezirk: Schwarz gepunktete LinieDer gelb markierte Bereich hebt den Prognosezeitraum hervor. Nach einem deutlichen Rückgang der Wachstumsraten im Jahr 2020, bedingt durch externe Markteinflüsse, zeigt die Prognose eine Stabilisierung mit moderaten Zuwächsen in allen drei Regionen. Salzburg zeigt die höchsten Schwankungen und Spitzenwerte, während der 2. Bezirk in Wien und Graz eine ruhigere, gleichmäßigere Entwicklung aufweisen.
Die Grafik dient als wertvolle Grundlage für die Einschätzung künftiger Preisentwicklungen und Investitionsentscheidungen in städtischen Immobilienmärkten.
Ein weiterer relevanter Aspekt ist die zunehmende Bedeutung von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance). Diese Faktoren gewinnen an Relevanz, da sie den Wert und die langfristige Stabilität einer Immobilie maßgeblich beeinflussen können. Umweltfaktoren betreffen etwa das Risiko von Hochwasser, extreme Hitze oder den Energieverbrauch eines Gebäudes. Soziale Faktoren können die Anbindung an Infrastruktur oder nachhaltige Mobilität betreffen, während Governance-Faktoren Standards und Transparenzvorgaben umfassen, die das Investitionsrisiko minimieren. Durch die Integration von ESG-Kriterien wird die Bewertung nicht nur umfassender, sondern auch robuster gegenüber langfristigen Risiken.
Um ESG-Kriterien systematisch in die Bewertung einzubinden, werden mehrstufige Modelle eingesetzt. Diese bewerten eine Immobilie auf Markt-, Standort- und Objektebene: Während die Marktebene makroökonomische Trends wie Zinsentwicklungen analysiert, wird auf der Standortebene die Infrastruktur bewertet. Die Objektebene berücksichtigt spezifische Eigenschaften eines Gebäudes, etwa die Energieeffizienz oder verwendete Baumaterialien. Diese mehrdimensionale Betrachtung ermöglicht eine detaillierte Risikoanalyse und eine präzisere Bewertung.
Zur methodischen Umsetzung werden datenbasierte Modelle wie das hedonische Bewertungsverfahren oder das statistisch fundierte Vergleichswertverfahren genutzt. Das hedonische Modell analysiert den Einfluss einzelner Merkmale – etwa Lage, Größe oder Baujahr – auf den Immobilienwert und ermöglicht damit eine differenzierte Bewertung. Allerdings stößt dieses Verfahren bei der Abbildung mikrolokaler Unterschiede an Grenzen, da es auf Durchschnittswerten basiert und kleinräumige Besonderheiten nicht immer adäquat erfasst.
Das statistisch fundierte Vergleichswertverfahren stellt eine Weiterentwicklung dar. Es vergleicht Immobilien anhand einer Vielzahl ähnlicher Objekte und gleicht Unterschiede, etwa in der Ausstattung oder Lage, durch Zu- und Abschläge aus. Die Genauigkeit dieses Verfahrens wird durch die Nutzung regionalisierter Daten erhöht. So können beispielsweise bei der Bewertung von Wohnungen in Wien spezifische lokale Unterschiede besser berücksichtigt werden. Dieses Verfahren erfüllt zudem die Transparenzanforderungen der Regulierungsbehörden, da die Ergebnisse nachvollziehbar sind.
Ein besonders innovativer Ansatz ist die Entwicklung eines Frühwarnsystems (Early Warning System, EWS), das Marktdaten kontinuierlich analysiert und potenzielle Risiken frühzeitig aufzeigt. Das EWS nutzt Marktindikatoren wie die Preis-Mieten-Quote (Verhältnis von Kaufpreisen zu Mieten), um Überbewertungen zu erkennen, oder analysiert die Zinselastizität, also die Empfindlichkeit von Immobilienpreisen gegenüber Zinsveränderungen. Diese Elastizitäten werden genutzt, um Szenarien zu simulieren, etwa wie ein Zinsanstieg die Werte in einer Region beeinflussen könnte.
Trotz aller Fortschritte gibt es auch Herausforderungen. Die Verfügbarkeit und Qualität von Daten ist oft begrenzt. Beispielsweise sind detaillierte Informationen zu physischen Risiken wie Hochwasser nur regional verfügbar und oft kostenintensiv. Zudem fehlt es an standardisierten Vorgaben für die Bewertung von ESG-Kriterien, was die Vergleichbarkeit von Bewertungen erschwert. Solche Defizite erfordern flexible und robuste Modelle, die auch bei unvollständigen Datensätzen zuverlässige Ergebnisse liefern.
Langfristig bieten Forward-Looking-Ansätze jedoch enorme Vorteile. Banken können nicht nur regulatorische Anforderungen besser erfüllen, sondern auch ihre Portfolios gegen Risiken absichern und langfristige Wertstabilität schaffen. Die Integration von ESG-Kriterien stärkt zudem die Resilienz von Immobilienwerten und eröffnet neue Möglichkeiten, nachhaltig zu investieren. Durch datengetriebene und zukunftsorientierte Bewertungsansätze wird die Immobilienbewertung transparenter, präziser und besser an die Herausforderungen eines dynamischen Marktes angepasst. Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte unsere Expert:innen unter info@ds-s.at.